Heinz-Josef Bontrup

Volksverdummung und Realitätsverlust

Ohne Arbeitszeitverkürzung wird es nie wieder Vollbeschäftigung geben.

Alle Welt redet von der Umverteilung von unten nach oben. Was ist die Ursache für diese gigantische Umverteilung?

Die Ursache ist ein Überschussangebot der „Ware“ Arbeitskraft. Anormale Angebotsverhältnisse führen zu einem Preisverfall auf den Unternehmer normalerweise mit einer Verknappung des Angebotes reagieren. Die Produktion wird gedrosselt, Fabriken werden geschlossen und wenn das alles nichts nützt, werden Kartelle gebildet. Warum aber wird am Arbeitsmarkt nicht verknappt?

Wie dumm muss man sein, um nicht auch auf den Arbeitsmärkten den Preisverfall, also den Verfall des Arbeitsentgeltes, zum Stoppen zu bringen?

Wenn in einer Volkswirtschaft die reale Wachstumsrate (gemessen am BIP) kleiner ist, als die Wachstumsrate der Produktivität, so verringert sich das Arbeitsvolumen. Das Arbeitsvolumen ist nichts anderes, als das mathematische Produkt aus der Zahl der Beschäftigten multipliziert mit ihrer Arbeitszeit. Was passiert nun im Falle einer Produktionslücke, die zum Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens führt?

Will man die Beschäftigten halten, muss die Arbeitszeit reduziert werden. Will man eine Arbeitszeitverkürzung nicht akzeptieren, geht die Beschäftigung zurück und es entsteht Arbeitslosigkeit. Die Welt hat sich entschieden, die Arbeitszeit nicht zu verkürzen. Die Beschäftigung nimmt ab und schlägt auf das Arbeitsangebot zurück. Der einzelne Arbeitnehmer bietet nicht weniger Arbeitskraft an, sondern sogar noch mehr, weil er sein Einkommen halten will. In der Folge verfällt der Preis für die Arbeit und viele abhängig Beschäftigte landen im Prekariat – zum Vorteil des Kapitals. Jeder Unternehmer kann nun die Rosinen picken und gleichzeitig über Fachkräftemangel stöhnen, weil vielleicht in einzelnen Teilarbeitsmärkten Verknappungen auftreten. Doch das hat mit dem großen Ganzen nichts zu tun.

Es setzen Volksverdummung und Realitätsverlust ein.

Die segmentierten und prekarisierten Arbeitsmärkte werden statistisch verklärt und die Politik tut so, als gäbe es eine nahezu vollbeschäftigte Wirtschaft. Das ist nicht nur ein Problem für die einzelnen Betroffenen, sondern auch für die Volkswirtschaft als Ganze. Die Arbeitslosigkeit impliziert fiskalische Kosten, die Arbeitslosen müssen alimentiert werden und es kommt zu Steuerausfällen und Ausfällen in den Sozialversicherungshaushalten.

Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich

Wenn man in einer Volkswirtschaft versäumt, Produktivität nicht auch für eine Verkürzung der Arbeitszeit einzusetzen, erntet man Arbeitslosigkeit und Lohnverfall. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich bedeutet, die Produktivitätsrate als Verteilungsspielraum einzusetzen. Die Arbeitszeit kann um den Anstieg der Produktivität verkürzt und gleichzeitig der Preis für die Arbeitskraft im gleichen Maße erhöht werden. Unter sonst gleichen Bedingungen (Preissteigerungsrate), bleiben die Löhne real konstant. Konstant bleiben auch die Lohnstückkosten, es liegt Verteilungsneutralität vor. Das Verhältnis von Lohnquote : Gewinnquote bleibt unverändert und auch der Unternehmergewinn steigt in Höhe der Produktivitätsrate.

Warum machen wir das nicht, wenn alle gewinnen würden?

Die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich scheitert am Widerstand der Unternehmer, die mit der Arbeitslosigkeit bestens leben können. Wie von Adam Smith bereits 1776 beschrieben, ist die Arbeitslosigkeit der Knüppel, das Disziplinierungsinstrument, um die Beschäftigten klein zu halten. Es ist eine Frage der Macht und Machtverteilung, obwohl es ökonomisch geboten ist und alle in der Gesellschaft Gewinner wären.

Man will es nicht wahrhaben

Die Produktivität läuft den Wachstumsraten davon. Um das Überangebot an Arbeitskraft zu kompensieren, müsste die reale (preisbereinigte) Wachstumsrate größer sein als die Produktivität. Wie soll das möglich sein? In wenigen Jahren wird in Supermärkten, um ein Beispiel zu nennen, keine Kassiererin mehr zu finden sein.

Erst hat man gesagt, geht in die Supermärkte und bedient euch selbst. Dann hat man uns an der Kasse in Schlangen gestellt und unsere Zeit okkupiert. Der nächste Schritt wird sein, dass wir uns auch noch selbst abkassieren.

Personal findet nicht mehr statt.

Wo bleiben die Menschen?

Die Überzähligen, Karl Marx hat sie Lumpenproletriat genannt, werden ausgegrenzt. Sie werden außerhalb der Gesellschaft an den Rand gespült und fristen dort ihr Dasein. Die Gesellschaft wird sich immer mehr aufspalten – in Arm und Reich. Eine Volkswirtschaft, die nicht allen Menschen Arbeit gibt, ist keine Volkswirtschaft – sie segmentiert, sie grenzt aus, sie diskriminiert und verletzt Menschen.

 

[red.] Exzerpt eines Vortrags von Heinz-Josef Bontrup im DGB-Haus Bremen

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