Thomas Straubhaar

Radikal gerecht

Das bedingungslose Grundeinkommen ist die logische Weiterentwicklung des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft.

Neue Zeiten erfordern neue Lösungen

Die Arbeitswelt des letzten Jahrhunderts war industriell geprägt. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer strebten nach einer stabilen, lebenslangen Vollbeschäftigung als Normalfall. Die Digitalisierung verändert mit Wucht und Tempo Lebensalltag und Arbeitswelt. Und sie erzwingt einen Perspektivenwechsel. Wenn Roboter Menschen ersetzen, muss zwangsläufig Arbeit einen anderen Stellenwert erhalten. Die Arbeit wird dem Menschen zwar nicht ausgehen. Aber die Arbeitszeit wird weiter schrumpfen. Der Mensch wird bei vielen Aktivitäten – besonders im Bereich der standardisierten, sich stetig wiederholenden einfachen Tätigkeiten – in den Hintergrund gedrängt.

Demografischer und struktureller Wandel erfordern einen Sozialstaat, der den Realitäten des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt.

Die Digitalisierung eröffnet neue Horizonte, um mit modernen Konzepten kluge sozialpolitische Antworten auf künftige Herausforderungen durch Roboter, künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge zu finden. Dabei zeigt sich an immer mehr Stellen, dass die Zeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen gekommen ist. Demografischer und struktureller Wandel sowie die damit einhergehenden politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen erfordern einen Sozialstaat, der den Realitäten des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt.

Die Grundidee des bedingungslosen Grundeinkommens

»Geld für alle« vom Staat ohne Gegenleistung und in Höhe des Existenzminimums bedeutet einen fundamentalen Perspektivenwechsel: weg von einem Sozialstaat, der im Nachhinein durch aktivierende Maßnahmen korrigieren will, was vorher falsch gelaufen ist. Weg von einer Finanzierung über Abgaben aus dem Arbeitseinkommen. Weg von Arbeitswelten, Familienbildern und Lebensläufen, die schon heute nicht mehr der Wirklichkeit und erst recht nicht dem Alltag der Zukunft entsprechen. Hin zu einer garantierten Teilhabe und einer Ermächtigung aller – im Voraus. Hin zu einer Finanzierung, die auch die Wertschöpfung von Robotern einbezieht. Hin zu Lebens- und Verhaltensweisen, die der Realität des 21. Jahrhunderts entsprechen.

Das Grundeinkommen ist nichts anderes als eine fundamentale Steuerreform.

Ja, das bedingungslose Grundeinkommen entspricht einem radikalen Neuanfang. Aber nein, es ist kein unkalkulierbarer Sprung ohne Auffangnetz. Denn letztlich ist das Grundeinkommen im Kern nichts anderes als eine fundamentale Steuerreform. Es bündelt alle sozialpolitischen Maßnahmen in einem einzigen Instrument, dem bedingungslos ausbezahlten Grundeinkommen. Die konkrete Ausarbeitung – also die politisch zu bestimmende Höhe des Existenzminimums, die der Höhe des Grundeinkommens entspricht – bietet genügend Freiraum für spezifische Anpassungen an heute noch unbekannte neue Herausforderungen der Zukunft.

Das bedingungslose Grundeinkommen folgt dem Konzept einer negativen Einkommensteuer.

Das bedingungslose Grundeinkommen folgt einer einfachen Logik. Es verzichtet auf ein mehrspuriges Gewirr von über Steuern und Abgaben aus dem Arbeitseinkommen finanzierten Sozialversicherungen und sozialpolitischen Maßnahmen. Stattdessen verrechnet es als Universalzahlung alle personenbezogenen Sozialtransfers und folgt dem Konzept einer negativen Einkommensteuer. Das heißt, alle erhalten vom Staat zunächst einmal Geld, was aus staatlicher Sicht einem Abfluss und damit dem Gegenteil eines Steuerzuflusses entspricht.

Aber alle, die Einkommen erwirtschaften – und eben auch die Eigentümer der Roboter –, zahlen gleichermaßen auf alle Einkommen Steuern – und zwar an der Quelle, vom ersten Euro an. Somit zeigt sich, dass auch weiterhin am Ende (also im Saldo, der die Steuerzahlungen mit dem Grundeinkommen verrechnet) der größte Teil der Bevölkerung aus der Sicht des Staates positive Steuern bezahlt.

Wichtig dabei ist, dass der Staat Kapitalerträge genauso wie das Arbeitseinkommen besteuert. Das gilt auch für die mithilfe von Robotern erwirtschafteten Gewinne. Sobald sie an die Eigentümer der Roboter (also die Aktionäre oder Gesellschafter) ausgeschüttet werden, gelangt an der Quelle der gleiche Steuersatz wie für den Lohn der Arbeit zur Anwendung.

Das Grundeinkommen sichert für alle, vom Säugling bis zum Greis, für Frau und Mann, von der Wiege bis zur Bahre, das Existenzminimum durch eine staatliche Geldzahlung. Nicht mehr, nicht weniger. Wem die Lebensqualität auf Höhe des Existenzminimums nicht genügt, muss selbstverantwortlich durch eigene Anstrengung eigenes Einkommen erwirtschaften. Und dabei gilt auch weiterhin: Wer Einkommen erzielt, bezahlt Steuern. Und ebenso gilt: Wer mehr verdient, zahlt mehr Steuern als derjenige, der weniger verdient.

Das Grundeinkommen ersetzt alle heute bestehenden sozialpolitischen Transfers.

Das Grundeinkommen ersetzt alle heute bestehenden sozialpolitischen Transfers, also Rentenzahlungen, Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe u. a. Andererseits muss auch niemand mehr Sozialabgaben leisten, denn die entfallen komplett. Es gibt neben dem über Steuern finanzierten Grundeinkommen keine durch Lohnabgaben gespeiste sozialstaatliche Parallelstruktur mehr. Damit wird der Anachronismus beseitigt, dass heutzutage nur für einen Teil der Bevölkerung bis zu einer gedeckelten Beitragsbemessungsgrenze eine Sozialversicherungspflicht gilt – nämlich für die unselbstständig Beschäftigten –, für alle anderen aber nicht. Genauso wenig wird heute die Wertschöpfung der Roboter in die Solidarpflicht der Sozialversicherungen genommen.

Dass allen, dem Besser- wie dem Geringverdienenden, ein gleich hohes Grundeinkommen ausbezahlt wird, ist weder ungerecht noch unnötig. Es ist schlicht nichts anderes als ein Verrechnungsvorgang zum Zwecke der bürokratischen Vereinfachung. Alle erhalten zunächst eine Steuergutschrift. Alle zahlen danach auf alle Einkommen Steuern – der Besserverdienende mehr als der Geringverdienende. Das ist gerecht.

Entscheidend ist, was am Ende – also nach den Steuerzahlungen auf das Einkommen – für eine Nettobilanz besteht. Ob also jemand mehr oder weniger Einkommensteuer zahlt, als er Grundeinkommen erhalten hat. In der Praxis wird sich dann zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung auch mit einem Grundeinkommen netto – also über alles gerechnet – weiterhin Steuern zahlt. Wer viel verdient, wird nämlich weit mehr Steuern an den Staat abführen als das Grundeinkommen. Er ist netto Steuerzahler und das Grundeinkommen mindert lediglich seine Steuerschuld.

Wer wenig oder gar nichts verdient, wird weniger Steuern bezahlen als das Grundeinkommen. Er ist ein Zuschuss-oder Transferempfänger, weil er insgesamt vom Staat mehr Geld erhält, als er an den Staat Steuern zahlt. Aus Sicht der Staatskasse ist sein Beitrag negativ.

Wie viel Steuern der Besserverdienende mehr zahlen soll als der Geringverdienende, damit unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen entsprochen wird, ist eine Frage, die politisch beantwortet werden muss. Mit dem Grundeinkommen an sich hat das nichts zu tun. Es ist lediglich das Instrument zur Umsetzung politischer Entscheidungen.

Offensichtlich wird, dass die Höhe des Grundeinkommens und der Steuersatz die Stellschrauben sind, mit denen Politik und Bevölkerung das neue Sozialsystem steuern können. Dabei gilt es, zwischen Gerechtigkeitszielen und Anreizeffekten ein vernünftiges Gleichgewicht zu finden. Diese Abwägung ist weder spezifisch für das Grundeinkommen noch eine neue Problematik. Sie ist in jedem Falle mit jeder Form von Sozialpolitik verbunden.

Zwischen den Arbeitsanreizen jener, die staatliche Unterstützung erhalten, und den Leistungsanreizen der anderen, die staatliche Transfers durch Steuern zu finanzieren haben, besteht ein Spannungsfeld – immer, nicht nur beim Grundeinkommen. Ein hohes Grundeinkommen macht hohe Steuersätze erforderlich. Dadurch werden Anreize zu eigener Leistung geschmälert. Erwerbsarbeit wird dann weniger attraktiv. Ein niedriges Grundeinkommen lässt sich mit niedrigen Steuersätzen finanzieren. Eine geringe Steuerbelastung wirkt sich positiv auf die Leistungsanreize aus. Erwerbsarbeit wird erstrebenswerter.

Neu ist, dass beim Grundeinkommen das gesamte Einkommen gleichermaßen an der Quelle der Entstehung besteuert wird. Und zwar vom ersten bis zum letzten Euro mit dem gleichen Steuersatz. Beamte, Selbstständige sowie Kapitalerträge, Zinsen, Dividenden, Tantiemen, Mieteinkommen etc. werden genauso wie die Löhne der Unselbstständigen oder die mit Robotern erzielten Unternehmensgewinne in die Solidarpflicht eingebunden. Sozialpolitik geht alle an. Deshalb müssen alle Einkommensquellen ihren Beitrag zur Finanzierung des Sozialstaates leisten – auch die (Eigentümer der) Roboter.

Für die Befürworter ist das bedingungslose Grundeinkommen ein unverzichtbares sozialpolitisches Konzept einer modernen Gesellschaft, für die Gegner eine absurde Idee naiver Weltverbesserer.

Warum kein bedingungsloses Grundeinkommen?

Für die Befürworter ist das bedingungslose Grundeinkommen ein unverzichtbares sozialpolitisches Konzept einer modernen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Es wird als logische Konsequenz aus den demografischen, technologischen, sozialen und ökonomischen Veränderungen der letzten und der kommenden Jahrzehnte verstanden.

Für die Gegner ist »Geld für alle« in Form eines vom Staat bedingungslos an alle ausbezahlten Grundeinkommens eine absurde Idee naiver Weltverbesserer. Sie sind sich sicher, dass eine Wirtschaft ohne Arbeitszwang nicht funktionieren kann.

»Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.« Das ist die protestantische DNS. Sie prägt Arbeitsethos und Solidarität. Deshalb laufe »ein Grundeinkommen für jedermann einem Grundgedanken der christlichen Soziallehre zuwider …: dem Prinzip der Subsidiarität«. Erst kommt die Selbsthilfe, danach die Unterstützung durch Familie und Verwandtschaft. Allein, wer alle privaten Rettungsanker geworfen hat und dennoch unverschuldet in Not gerät und verbleibt, darf Hilfe von Gesellschaft und Staat erwarten – vorausgesetzt, er ist Mitglied des Sozialsystems und hat vorher durch seine Beiträge zur Finanzierung der Sozialversicherungen beigetragen.

Wieso aber muss eine moderne Wissensgesellschaft im 21. Jahrhundert an einer Vogel-flieg-oder-stirb-Ideologie längst vergangener Tage festhalten?

Das bedingungslose Grundeinkommen sieht in den technologischen Neuerungen der Digitalisierung nicht einen Angriff auf die menschliche Arbeitskraft. Im Gegenteil. Es erkennt die historische Chance für eine vollständig neue Arbeitsteilung zwischen Menschen und Automaten: nicht mehr »Mensch gegen Maschine«, sondern »Mensch mit Maschine«.

 

Thomas Straubhaar
»Radikal gerecht«
edition Körber-Stiftung

 
 
 

Kommentare

Ausgerechnet die linken Defraudanten und Kinderentfremder, wagen es "Gerechtigkeit" ins Lügenmaul zu nehmen ?

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